[ Teil III:. . . und er starb still ]

... Das Infanteriefeuer brodelte. Die Artillerien zerrissen Luft und Erde. Die Schwarmlinien des Bataillons verschwanden im Gelände, verschmolzen mit Feld und Acker. Hier und dort eine springende Gruppe, die alsbald, wie von der Erde verschluckt, wieder verschwand.

 

Die starke Stellung des Gegners hatte durch unser Artilleriefeuer nur wenig gelitten. Die Maschinengewehre waren nicht niedergekämpft. Der tiefe Angriffsraum, der zudem von verschanzten Höhen aus mit vernichtendem Flankenfeuer bestrichen wurde, kostete harte

Verluste. Teile des Bataillons drangen nahe an die russischen Hindernisse vor, der Angriff gewann ein paar hundert Meter Raum, aber es war nicht möglich, sturmkräftige Schützenlinien vor den feindlichen Verhauen aufzufüllen. Die letzten Reserven wurden nicht mehr eingesetzt. Die vorgedrungenen Schützenlinien hatten sich auf dem Gefechtsfeld eingegraben.

 

In der Dämmerung kam Befehl an die Kompanien, sich in einer Höhe in durchlaufenden Gräben einzuschanzen. Es wurde dunkel. Leuchtkugeln stiegen. Spaten und Beilpicken klirrten. Von den überstürmten Äckern kam ein Stöhnen und Rufen. Die Krankenträger gingen vor und zerstreuten sich mit Bahren übers Feld. In den rasch aufgeworfenen Gräben saßen die Gruppen beisammen, schnitzten Kreuze und machten Kränze aus Wacholder und Fichtenzweigen. Aus der dunklen Erde wuchsen Gräber und schlossen sich über den Toten von Warthi. Brände verschwelten. Ab und zu ein

prasselndes Zusammenstürzen ausgebrannter Häuser und Scheunen. Und immer wieder irgendwo ein Wimmern, ein messerscharfes Schreien. Ablösende Posten

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gingen zu zweien und dreien ins Dunkel vor. Patrouillen streiften durch die Postenkette zu den Russengräben [Anmerkung 43] hinüber. Die ganze Nacht hindurch ging das Suchen und Fragen und stille Finden . . .

Ernst Wurche lag mit seinen Leuten in der vordersten Linie. Da sein Kompanieführer gleich zu Beginn des Gefechtes ausfiel, hatte er mitten im Sturm die Führung der zehnten Kompanie übernommen. Seine Fernsprecher hatten Verbindung nach rückwärts gelegt. Mitten in der Nacht rief mich der Freund durchs Feldtelephon an. Nach jedem einzelnen Mann seines alten dritten Zuges fragte er. Ich hatte die Verluste der Kompanie zusammengestellt. Auch in den dritten Zug hatte der Tag seine Lücken gerissen. Nach jedem der Verwundeten fragte er mehr, als ich antworten konnte. Von seinem eignen Erleben sprach er nicht. »Alles Gute für morgen!« »Gute Nacht!« Ich hing den Hörer ab. Dann ging ich zum dritten Zuge und brachte den Leuten die Grüße des Freundes. Der Morgen ging blass über Gräben und Gräbern auf . . .

 

Der neue Tag verging unter Wachen und Schanzen. Es hieß, dass schwere Artillerie im Anmarsch sei. Aber in der nächsten Nacht wichen die Russen weiter ostwärts auf Olita zurück. In der Frühe des 23. August drängten wir nach. Mein Zug hatte während des Marsches die Spitze. An unsern Kolonnen vorüber zogen auf dem ganzen Wege zwischen Nowewloki, Warthi und Solceniki die endlosen Flüchtlingszüge der von den Russen mitgeschleppten lettischen [Anmerkung 44] Bauern, die mit einem Tross armseliger Karren voller Betten und Hausrat, mit dem Rest ihrer Herden und Pferde ihren verlassenen

 

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[Anmerkung 43]

Statt des korrekten »Russengräben« findet sich in einigen Ausgaben des Textes das falsche und sinnwidrige »Russengräbern«.

 

[Anmerkung 44]

Hier und im folgenden ist mehrfach von »Lettland« bzw. »lettisch« die Rede; die Orte von Wurches letzten Tagen wie Warthi, Simno, Posiminicze liegen allerdings im heutigen Litauen. Vorher war man im damals wie heute polnischen Augustowo. Diese Schauplätze des »Kriegserlebnisses«, jeweils ca. 40 km von der Grenze zum deutschen Ostpreußen entfernt, gehörten bis zum Ende des Ersten Weltkriegs als »Kongresspolen« (Gouvernement Suwalki) zum Russischen Zarenreich.

Lettland wird während der gesamten Handlung nicht betreten; vermutlich meint Flex »Lettland« stellvertretend für das gesamte Baltikum.

 

 

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