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Patriarchat und Kapital
Vorwort zur Neuauflage 2015
(Auszug)
Bücher sind wie Samenkörner. Manchmal sind sie Früchte des Zorns und entstehen aus sozialen Bewegungen. Man wirft sie hinaus in die Welt und weiß nicht, ob und wo der Samen aufgeht.
Patriarchat und Kapital entstand aus der internationalen Frauenbewegung.
Dieses Buch ist ganz überwiegend eine Frucht des Zorns. Zorn darüber, dass auch in den sogenannten fortschrittlichen Ländern Frauen Opfer von Diskriminierung und Gewalt sind. Wir Frauen
trugen diesen Zorn auf die Straßen. Wir kämpften gegen den Abtreibungsparagraphen §,218, gegen die Ungleichbehandlung von Frauen am Arbeitsplatz, in der Bildung, in Wirtschaft und
Politik. Vor allem kämpften wir gegen die Gewalt der Männer gegen Frauen in jeglicher Form, sei es durch Vergewaltigungen, im Rahmen häuslicher Gewalt, in der Bildung und in
den Medien.
Wir fragten, warum Männer Frauen auf der ganzen Welt so schlecht behandeln, obwohl sie doch Söhne von Frauen, Müttern sind. Wir hatten anfangs noch keinen rechten Begriff für das System,
in dem Gewalt gegen Frauen als »normal« gilt.
Ich schrieb Patriarchat und Kapital aber nicht nur aus Zorn. Ich wollte die Geschichte dieses frauenfeindlichen Systems, seine tieferen Entstehungsursachen und seine verschiedenen
Manifestationen erforschen. Mir war klar, dass Zorn zwar wichtig ist, dass er uns aber ohne theoretische Begründung nicht zu einer Veränderung dieses Systems führen würde. Vor allem
fehlten uns damals die richtigen Begriffe, um dieses System zu benennen. Wir nannten es »sexistisch«, »frauenfeindlich«, alles Begriffe, die das Ganze nicht erfassen. Ich suchte nach
einem solchen umfassenden Begriff: Für mich war und ist »Patriarchat» der richtige Begriff. Ich entdeckte ihn jedoch nicht, indem ich viele Bücher las, sondern durch meine Erfahrungen in
Indien, einem der ältesten der patriarchalen Länder der Welt überhaupt.
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Erst in unserer Zeit ist die Welt auf die Gewalt gegen Frauen in Indien aufmerksam geworden und zwar nach der Gruppenvergewaltigung einer europäischen Frau in New Delhi im Dezember
2012. Danach berichteten die westlichen Medien regelmäßig über eine ganze Serie solcher Gruppenvergewaltigungen. Als Indira Gandhi, die damalige Ministerpräsidentin Indiens, den
Notstand erklärt hatte (1955-1977), fanden solche Gruppenvergewaltigungen regelmäßig statt, vor allem in Polizeistationen. Die westliche Presse ignorierte dies vollkommen.
Patriarchat in Deutschland und weltweit
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Doch während ich das indische Patriarchat erforschte, entdeckte ich das deutsche. Ich kam nicht umhin, überall, trotz großer kultureller Unterschiede zwischen Indien und Deutschland,
Ähnlichkeiten zwischen dem indischen und dem deutschen Patriarchat festzustellen. Die meisten Sozialwissenschaftler nehmen bis heute an, dass patriarchale Gesellschaften mit der Moderne
verschwunden seien. Das ist jedoch nicht der Fall. Die neue Frauenbewegung hat einen anderen, viel weiter gehenden Begriff von Patriarchat als die früheren Wissenschaftler. Für uns hat
das Patriarchat, das etwa 8000 Jahre vor unserer Zeitrechnung entstand, bis heute nicht aufgehört. Die jeweiligen Manifestationen des Patriarchats mögen verschieden sein, aber das
Menschenbild von Mann und Frau und die Strukturen von Familie und Gesellschaft sind die gleichen. Frauen sind das untergeordnete »zweite Geschlecht«, wie Simone de Beauvoir schrieb. Wir
Feministinnen nennen alle Gesellschaften und Kulturen patriarchalisch, in denen Männer über Frauen herrschen, in denen sie ungestraft Frauen Gewalt antun können, in denen Frauen
geschlagen und vergewaltigt werden können, ohne dass dies als Verbrechen gilt. Patriarchale Verhältnisse herrschen auch dort, wo Frauen ökonomisch lebenslänglich von Männern
abhängig sind und nicht die gleichen Rechte haben wie Männer. Solche Verhältnisse herrschen in fast allen Ländern, auch wenn in deren Verfassungen die Gleichheit von Mann und Frau
festgeschrieben ist. Das gilt auch für Deutschland. Im Prinzip hat sich an diesen Verhältnissen nicht viel geändert.Was heute an Veränderungen der gesellschaftlichen Position von Frauen
stattgefunden hat, ist der neuen Frauenbewegung zu verdanken.
… und »Kapital«?
Den Begriff »Kapital« kannte ich zwar theoretisch, wusste aber wenig von seinen historischen und theoretischen Grundlagen und seiner aktuellen Relevanz. Diese lernte ich 1968 nach meiner
Rückkehr aus Indien im Rahmen der Studentenbewegung kennen. Sie stellte alles in Frage, was bis dahin unsere westliche Gesellschaft ausmachte: das kapitalistische System, die autoritäre
Familie, die autoritäre Universität, den Imperialismus und die Herrschaft des westlichen Kapitals über die armen Länder der Welt. Vor allem aufgrund meiner Erfahrung in Indien verstand
ich, dass die Unterdrückung der Frauen auch zu diesem kapitalistischen, imperialistischen System gehört, dass das Patriarchat auch im entwickelten Kapitalismus nicht aufgehört hat,
sondern unsere modernen Gesellschaften in jedem Bereich prägt. Das heißt, wir leben bis heute in einem kapitalistischen Patriarchat.
Die Männer in der Studentenbewegung sahen diese Dinge ganz anders. Ihre Theorie war der Marxismus. Und in dieser Theorie war die »Frauenfrage« nur ein »Nebenwiderspruch«, der nach der
Revolution beseitigt werden würde. Das konnten und können wir Feministinnen nicht akzeptieren: Das Patriarchat wird keineswegs beseitigt. Nicht nur der Kapitalismus, sondern auch der
Sozialismus konnte ohne patriarchale Verhältnisse nicht entstehen und sich bis heute erhalten. Gerade heute erleben wir, wie die Gewalt gegen Frauen weltweit zunimmt. In Patriarchat
und Kapital weise ich diese Zusammenhänge auf. Darum ist dieses Buch heute genauso aktuell wie 1986. Es ist sogar noch aktueller. Ich brauche an meiner Analyse und meiner Kritik nichts zu
ändern.
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Gewalt als Mittel zur Durchsetzung des Patriarchats
Als ich Patriarchat und Kapital schrieb, standen wir Feministinnen auf der ganzen Welt vor der gleichen Frage: Was sind die Ursachen dieses frauenfeindlichen Systems? Wann hat es
angefangen? Warum dauert es bis heute an und was sind die Alternativen dazu? Wir stellten diese Frage nicht »von oben«. Wir mussten sie von unten stellen, denn wir können und dürfen nicht
vergessen, dass wir Teil der Natur sind.
Unser Körper erinnert uns dauernd daran, dass wir nicht »über« der Natur stehen, sondern dass wir ein Teil von ihr sind. Menstruation, Schwangerschaft und Geburt finden im Inneren unseres
Körpers statt.
Nicht die größere Körperkraft macht Männer zu Herren über Frauen und die Erde, sondern die effizienteren Gewaltmittel. Nicht die Anatomie ist unser Problem, sondern die Gewalt.
Hausfrauisierung
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In den europäischen Ländern wurde die direkte Gewalt gegen Frauen schließlich durch strukturelle Gewalt ersetzt. Im neuen Bürgertum entstand das Frauenbild der »modernen Hausfrau«. Ohne
die unbezahlte Arbeit der Hausfrau in den Industrieländern war der schnelle Aufstieg des Kapitalismus nicht möglich. Die Hausfrauisierung der Frauen ist auch heute noch der unsichtbare
Untergrund des Kapitalismus. Wenn die ganze Arbeit einer Hausfrau so bezahlt werden müsste wie die eines männlichen Facharbeiters, wäre der Kapitalismus schnell am Ende.
Das gleiche gilt heute für die Ausbeutung armer Frauen in Ländern in sogenannten Billiglohnländern.
Im vierten Kapitel weise ich nach, dass arme Frauen in Asien, Afrika und Südamerika auch heute die billigsten Arbeitskräfte für das internationale Kapital sind.
Doch auch wir Konsumenten und Konsumentinnen profitieren von der Ausbeutung dieser armen Frauen. Wenn ihre Arbeit so bezahlt würde, wie die eines deutschen Mannes, könnten wir uns die
T-Shirts, Hemden, Jeanshosen und viele andere Produkte, nicht mehr leisten. Unser aller Lebensstandard würde drastisch sinken. Die Auslagerung der Textilindustrie und dann auch anderer
Industrien in »Billiglohnländer« wie z.,B. nach Bangladesch und auch in andere Länder in Asien und Lateinamerika, wo die Arbeitsnormen der ILO bis heute nicht beachtet werden, ist der
Trick, durch den das Kapital solche Waren für die westlichen Konsumenten so billig herstellen kann, dass auch Arme sich die billigen Hemden, Schuhe und Waren aller Art leisten können.
Ohne die brutalste Gewalt gegen die Arbeiterinnen in diesen Weltmarktfabriken wäre das nicht möglich.
Was hat sich seit 1986 geändert?
Seit der Erstveröffentlichung von Patriarchat und Kapital hat sich die Welt sehr verändert. Vieles ist jedoch geblieben. Die Säulen unserer Zivilisation, nämlich Patriarchat und Kapital,
sind gleich geblieben.
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Zwischen 1986 und heute hat sich die Weltlage insgesamt verschlechtert. Natur- und menschengemachte Katastrophen und Krisen haben zugenommen. Der Klimawandel, verursacht durch
unseren Lebensstil, ist nicht mehr rückgängig zu machen. Die Ressourcen, auf deren Ausbeutung unser Lebensstil basiert, gehen zu Ende. Die Zahl der Armen hat zugenommen, nicht nur in den
armen, sondern auch in den reichen Ländern. Überall wird die Natur mehr und mehr zerstört. In seiner Gier nach immer mehr Profit nimmt der Kapitalismus keine Rücksicht auf Mensch und
Natur. Um weiteres Wachstum voran zu treiben, werden neue Technologien erfunden, die jedoch allesamt negative Auswirkungen auf Mensch und Natur haben.
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Neoliberalismus und Globalisierung
Auch die gesamte Weltwirtschaft hat sich seit 1986 grundlegend verändert.
Seit den neunziger Jahren, genauer gesagt, nach dem Fall der Berliner Mauer, hat der Kapitalismus einen neuen, weltweiten Siegeszug angetreten. Das fing mit der Einführung der
neoliberalen Wirtschaftspolitik an. Diese Wirtschaftspolitik hat sich inzwischen weltweit als die angeblich einzige erfolgreiche etabliert. Die Grundprinzipien dieser Wirtschaftspolitik
sind: Globalisierung, Liberalisierung, Privatisierung und universale Konkurrenz (GLPK). Die Versprechungen der GLPK-Ökonomen: Alle Menschen werden wirtschaftlich gleich gestellt. Die
Liberalisierung wird den Einfluss des Staates auf die Wirtschaft beenden und so der Konkurrenz freies Spiel ermöglichen, die Privatisierung wird Innovationen und damit die Wirtschaft
fördern, was allen zu Gute käme. So würden alle Menschen am Wohlstand teilnehmen können und die Kluft zwischen Arm und Reich würde verschwinden. Viele Menschen, selbst Feministinnen,
glaubten zunächst diesen Versprechungen. Alle diese Versprechungen haben sich jedoch inzwischen als Bluff erwiesen. Heute geben sogar ehemalige Befürworter des Neoliberalismus zu, dass
die Globalisierung gescheitert ist.
Globalisierung, neue Kriege und Terrorismus
Nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York am 11.Terroristen werden überall auf der Welt die jeweiligen Feinde bezeichnet, gleichgültig, ob sie sich außerhalb oder
innerhalb eines Landes befinden. Wir befinden uns tatsächlich in einem neuen, permanenten Kriegszustand.
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Eisberg-Modell der kapitalistisch-patriarchalen Wirtschaft
Ehe wir nach Alternativen zu diesem lebensbedrohenden System suchen, ist es wichtig, seine Grundlagen zu verstehen. Ich habe diese in dem Modell eines Eisberges dargestellt.
Von Eisbergen sieht man nur die Spitze, die über die Wasseroberfläche herausragt. Der größte Teil eines Eisberges befindet sich jedoch unter der Wasseroberfläche. Diesen Teil sieht man
nicht. Dieser unsichtbare Teil bildet aber die tatsächliche Grundlage für die sichtbare Spitze.
Genau so ist es mit der kapitalistischen Ökonomie.
Im Kapitalismus versteht man unter »Wirtschaft« immer nur den sichtbaren Teil, nämlich Kapital und Lohnarbeit.
Alle »Arbeit«, alle »Produktion« die unter der Wasseroberfläche stattfindet, geht nicht in die kapitalistische Berechnung von Kosten ein. Sie steht dem Kapital »frei« zur
Verfügung.
Dazu gehört die Arbeit der Hausfrauen und Mütter, aber auch die der Heimarbeiterer, Teilzeitarbeiter, Leiharbeiter; kurz: alles was man heute prekäre Arbeit nennt.
Dazu gehören auch Kinderarbeit, Prostitution und Schwarzarbeit. Auch die Arbeit von Kleinbauern und Handwerkern, die hauptsächlich für ihre Selbstversorgung arbeiten, d.h., für ihre
Subsistenz, wird vom Kapital nicht bezahlt.
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Wirtschaftskrisen
Die meisten Standard-Ökonomen sind der Meinung, dass Wirtschaftskrisen in kapitalistischen Ländern zwar immer mal wieder auftreten, aber dass jede Rezession schließlich von einem neuen
Aufschwung abgelöst wird, und dass so die Wirtschaft letztlich immer weiter wachsen kann. Saral Sarkar hat jedoch nachgewiesen, dass dieser Krisenzyklus heute nicht mehr die Regel
ist. Die Standard-Ökonomen haben zwei wesentliche Faktoren nicht beachtet, die die heutigen Wirtschaftskrisen grundsätzlich von früheren unterscheiden, nämlich die Grenzen des Wachstums
und die zunehmende Zerstörung der ökologischen Grundlage des Lebens auf dieser Welt. Diesen beiden Faktoren können nicht durch ökonomische oder politische Mittel
entgegengewirkt werden. Dieses Problem kann nur durch einen grundlegenden Wandel der Lebensweise der Menschen, vor allem in den reichen Ländern, gelöst werden. Ein
solcher Wandel ist aber nicht im Sinne einer Wirtschaft, die auf grenzenloses Wachstum programmiert ist. Auch die Mehrzahl der Menschen ist zu einem solchen Wandel noch nicht
bereit. Die Folge ist daher eine Serie von Krisen, die sich nach Sarkar aneinander reihen. Er spricht daher von DER Krise des Kapitalismus (Saral Sarkar 2001 und 2010).
Eigentlich müsste jeder vernünftige Mensch begreifen, dass grenzenloses Wachstum auf einem begrenzten Planeten nicht möglich ist.
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Gibt es eine Alternative?
Viele Menschen resignieren und sagen: Es ist nichts zu machen. Andere fragen nach einer Alternative zum herrschenden kapitalistischen System. Seit die ehemaligen
kommunistischen Länder wie China und Russland nun auch ihre Wirtschaft dem neoliberalen Credo unterworfen haben, gelten Kommunismus und Sozialismus nicht mehr als Alternativen zum
Kapitalismus. Daher suchen viele Menschen auf der ganzen Welt nach einer anderen Perspektive, ja nach einer anderen Konzeption von Wirtschaft und Gesellschaft. Seit längerer Zeit gibt es
in Europa eine breite Diskussion über die Grenzen des Wachstums. Im Mittelpunkt dieser Diskussion steht die Frage, ob und wie der Wachstumswahn des Kapitalismus überwunden werden
kann.
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Was ist Subsistenproduktion?
Der Begriff Subsistenzproduktion geht von einem prinzipiell anderen Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft aus. Ich definiere Subsistenzproduktion folgendermaßen:
Leben. Bei der kapitalistischen Warenproduktion ist das Ziel Geld, das immer mehr Geld »gebiert« beziehungsweise akkumuliert. Das bedeutet: Ohne Geld kein Leben. Heute ist das Geld der
»Vater aller Dinge«, einschließlich des menschlichen Lebens. Um diese unendliche Geldvermehrung anzutreiben und aufrecht zu erhalten, braucht das Kapital immer wieder neues Leben, das es
möglichst kostenlos ausbeuten kann. Dazu gehört die ganze Natur, dazu gehören Kolonien und dazu gehört die Hausarbeit von Frauen genauso wie die Arbeit von Kleinbauern, die hauptsächlich
für ihre Selbstversorgung, ihre Subsistenz arbeiten und nicht hauptsächlich für den kapitalistischen Markt. Das Dilemma dieser grenzenlosen Geldschöpfung ist jedoch, das aus Leben
Geld gemacht werden kann, dass aber aus Geld nicht wieder Leben geschaffen werden kann. Leben kann nur aus Leben entstehen. Geld ist tot.
Subsistenz, eine Notwendigkeit
Viele sind der Meinung, dass Subsistenz einen Rückschritt ins Mittelalter bedeutet. Heute ist die Lage aber so, dass Subsistenzproduktion und Selbstversorgung nicht mehr nur ein Hobby für
Aussteiger, sondern mehr und mehr zu einer Überlebensnotwendigkeit geworden sind. In Griechenland, Spanien und vielen Ländern, die von den Wirtschaftskrisen am härtesten betroffen
sind, bleibt den Menschen nicht viel anderes übrig, als sich wieder auf Subsistenz und die eigene Produktion des Lebensnotwendigen zu besinnen. Der Staat ist bankrott. Der
Sozialstaat funktioniert nicht mehr. Es gibt kein oder nicht mehr genug Geld, um zu »leben« oder nicht einmal zu überleben. Einige gehen wieder zurück aufs Land ihrer
Großeltern, um dort wieder etwas Essbares anzubauen. Oder sie müssen, wie seinerzeit in Kuba, Landwirtschaft in der Stadt betreiben. Auf jeden Fall müssen sie Mittel und Wege finden, auch
ohne Geld oder mit wenig Geld ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen.Viele entdecken dabei, dass Subsistenz nicht Rückschritt, Armut und Elend bedeutet, sondern die Wiederentdeckung alter
Kenntnisse und Fähigkeiten zur Eigenproduktion von Nahrung und anderen notwendigen Dingen. Außerdem erfahren sie, dass Subsistenz nicht Armut und Plackerei bedeutet, sondern neue soziale
Beziehungen und eine andere Kultur, eine Kultur des Miteinander, des Teilens, einer neuen Nachbarschaftlichkeit, der gegenseitigen Hilfe, einer neuen Kreativität und neuer Lebensfreude.
Kurz, eine Subsistenzwirtschaft und -gesellschaft ist nicht mehr bestimmt vom kapitalistischen Wachstumszwang, der Herrschaft des Menschen über die Natur, der Männer über Frauen und
die Ausbeutung aller Kolonien. Subsistenz bedeutet die Wiederentdeckung der Vielfalt des Lebens der Lebensfreude.
Wer die Welt von der Perspektive der Subsistenz anschaut, wird den Zyklus des Lebens wieder entdecken. Dieser Zyklus ist am deutlichsten am Kreislauf von Säen, Ernten und wieder
Säen z.B. von Reis zu beobachten. In Ländern, wo die Mehrzahl der Menschen noch auf dem Land lebt, wie in Bangladesch, sind Frauen die »Hüterinnen des Samens«. Nach dem Monsun
setzen sie die kleinen Reispflanzen einzeln in die nasse Erde, nach der Ernte füllen sie den Reis in große Tonkrüge, die sie in ein Samenhaus stellen. Sie sorgen dafür, dass der Reis
nicht feucht wird und schimmelt. Dann teilen sie den Reis auf in eine Menge, die zum Verzehr bestimmt ist und in einen anderen Teil, der als Saatgut für die neue Aussaat aufbewahrt wird.
So halten sie den Zyklus des Lebens aufrecht. Die globalen Agrarkonzerne wie Monsanto haben diesen Zyklus jedoch durchbrochen. Die Bauern müssen den Reissamen jedes Jahr von Monsanto
kaufen.
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Ich betrachte Patriarchat und Kapital als mein wichtigstes Buch. Ich denke, es ist besonders heute wichtig und aktuell.
Köln, im April 2015
Maria Mies
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[Inhaltsverzeichnis] [Vorwort (2015)]